Boehringers Info-Veranstaltung vom 2. April 2008

Die offiziellen, am 2. April gezeigten Präsentationsunterlagen der Stadt Hannover und des Gewerbeaufsichtsamtes sowie der Fa. Boehringer zum geplanten Projekt können Sie hier zum Download als PDF-Dateien erhalten. Scrollen Sie dort durch bis zum Punkt "Präsentationen der öffentlichen Informationsveranstaltung".

Die Antworten der Stadt Hannover auf den Brief vom 26. März an die Ratsmitglieder hier. Die Antworten wurden am Rande der Veranstaltung von der Stadt Hannover ausgelegt.

Fotos: Foyer / Galerie überm Hörsaal / Blick in den Hörsaal. Die Vollheit im Foyer beruht darauf, daß das Geschehen im Hörsaal per Videotechnik in das Foyer übertragen worden ist.

Die vorliegende Zusammenfassung gibt die Aussagen der Personen nicht wortwörtlich, sondern inhaltlich wieder. In Hinblick auf die Inhalte erhebt diese Zusammenfassung nicht den Anspruch, vollständig zu sein, weil mir beim Mitschreiben einige Dinge – im Volumen ca. 20 % - entgangen sind. Die vorliegende Zusammenfassung faßt die Aussagen der einzelnen Personen in „Ich-Form“ zusammen, wie es auch in Zeitungsartikeln üblich ist. Es liest sich dadurch leichter, als wenn jeder Satz eingeleitet werden müßte mit „ ... Herr XY sagte, daß ...“.

Es ist aus Gründen der Fairness ausdrücklich erwünscht, daß die in dieser Zusammanfassung erwähnten Personen per email Ergänzungen oder Richtigstellungen abgeben können. Diese Richtigstellungen werden kenntlich gemacht und es bleibt die ursprüngliche Version auf dieser website für jeden einsehbar. Auch jeder Dritte hat die Möglichkeit, Richtigstellungen an Aussagen fremder Personen oder Richtigstellungen zu anderen Richtigstellungen vorzuschlagen.

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Zusammenfassung der Ereignisse auf der Info-Veranstaltung/h3>

der Fa. Boehringer vom 2. April 2008

Autor: Volker Klawon

Etwa 800 Bewohner haben sich auf der Info-Veranstaltung der Firma Boehringer und der Stadt Hannover eingefunden. Die Atmosphäre war aufgeladen. Schon gleich am Anfang sah sich Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) dem Vorwurf der Lüge ausgesetzt: Er sagte, daß die Öffentlichkeit schon im Oktober 2007 über die geplante  Ansiedlung der Fa. Boehringer informiert worden sei. Ein Raunen ging durch den Saal, ein Buh-Ruf erschallte. Tatsächlich ging zur Ansiedlung der Fa. Boehringer bereits Ende September 2007 eine kurze Mitteilung an die Presse. Während einer Pressekonferenz am Rande übernahm der Sprecher der Stadt, Dieter Sagolla, die Verantwortung für die schleppende Information der Bürger. Die Fa. Boehringer habe nur auf Drängen der Stadtverwaltung von einer frühzeitigen Information der Öffentlichkeit abgesehen.

Die dreieinhalbstündige Veranstaltung begann mit einer fast einstündigen Bildschirmpräsentation über das weltweit tätige Unternehmen Boehringer und den Sinn der Tierarzneimittelforschung im Allgemeinen. Die Redner wurden mehrfach unterbrochen mit Zwischenrufen wie „das interessiert uns nicht“ und „warum in einem Wohngebiet“. Auf einige andere Zwischenfragen wurde sofort geantwortet. Derweil rollten Umweltaktivisten ein Transparent hinter dem Redner aus mit der Zeichnung eines Schweins und einer Spritze und dem Slogan „Innovation für Hannover ??“. Nach kurzer Absprache mit der Moderatorin der Veranstaltung durften die Aktivisten ihr Transparent hochhalten, solange dies den Vortrag nicht störe.

Boehringers Forschungs-Spezialist Randolph Seidler: „Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Natürlich gibt es auch Erreger, die den Menschen betreffen. Kein Erreger kann jemals herauskommen. Es gibt doppelte Systeme. Es wird viel gereinigt werden müssen ... “

Auf die Frage nach den Restrisiken der Anlage bekamen die Zuschauer zwei unterschiedliche Antworten zu hören. Ein schweizer Unternehmer, der als Spezialist für Sicherheitsfragen von der Fa. Boehringer eingeladen wurde sagte, daß es keine 100%ige Sicherheit geben könne. Für die Fa. Boehringer erklärte Joachim Hasenmeier auf die Nachfrage eines besorgten Familienvaters, ein Risiko für die Kinder sei auszuschließen. Und Oberbürgermeister Stephan Weil schob nach: „Das ist auch die Antwort der Stadt Hannover“. Weil erklärte weiterhin sinngemäß: „Meine Familie und ich bleiben gerne in Hannover wohnen“. Auf Nachfrage, daß wir nun zwei Antworten in dieser Frage gehört haben, sagte Joachim Hasenmeier, es gebe zwar Störfälle, aber keine Risiken für die Kinder. Ein Zwischenrufer rief: „Wir wollen keine Risiken schaffen im Wohngebiet“. TiHo-Präsident Gerhard Greif sagte in Hinblick auf die Sicherheit der geplanten Anlage „Ich übernehme persönlich die Verantwortung dafür. Zuerst fragte ich mich, welche Risiken es gebe“. Laut Greif springen technische Ersatzeinrichtungen ein für den Fall, daß eine technische Einrichtung ausfällt. „Alles andere ist beherrschbar“, so Greif. Und „Wenn es einen Grund gebe, der gegen die Sicherheit der Anlage spricht“ wäre er sofort gegen den Betrieb der Anlage.

Den Vorschlag, das Labor an der TiHo und die Stallungen abseits der Wohngebiete zu platzieren, lehnte Hasenmeier ab, „um zu gewährleisten, daß Keime nicht nach außen treten“.

Die Frage, weshalb die Anlage denn in einem Wohngebiet errichtet werden müsse, beantwortete der Baudezernent unserer Stadt, Uwe Bodemann, mit den Worten „Boehringer sucht nicht die Nähe zum Wohngebiet, sondern zur TiHo“. Hasenmeier erklärte, daß neben der Nähe zur TiHo und der großen landwirtschaftlichen Bedeutung Niedersachsens ein weiteres Argument für Hannover spreche: Dieser Standort stelle ein attraktives Wohn- und Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter seiner Firma dar. Im Saal ertönte erstes Gelächter. Ein Zwischenrufer empörte sich über dieses Eingeständnis, daß die Versuchsanlage mitten ins Wohngebiet gebaut wird. Er sagte lautstark: „Das ist doch nicht wahr ... das gibt es doch nicht!“ Es folgte lautes Gelächter im Saal.

Ein Anwohner stellte die Frage, ob es denn notwendig sei, daß das Schwein den Forschern auf dem Schoß sitzt. Greif stellte heraus, daß die direkte Nachbarschaft der Ausbildung und der beruflichen Entwicklung junger Leute zugute käme. Sie könnten in den Arbeitsablauf der Fa. Boehringer integriert werden. Außerdem erwartet Greif Arbeitsplätze für Absolventen der TiHo und für die Laborkräfte und die Tierpfleger, die auf dem Gelände der TiHo ausgebildet werden. Zudem könne die Fa. Boehringer das Elektronenmikroskop der TiHo mitbenutzen. Und wenn nebenan mal ein Problem auftritt, kann schnell mal ein Wissenschaftler aus der TiHo hinübergehen zur Fa. Boehringer und helfen. „Man kann das nicht mit Internet alles machen“, erklärte Greif. Außerdem würden viele Besprechungen und kreative Prozesse ohne die unmittelbare Nachbarschaft nur verzögert oder gar nicht stattfinden; „kreative Prozesse erfordern die Nähe von Menschen“, so Greif. Er stellte die rhetorische Frage: „was spricht dagegen, wenn die Prüfung der Sicherheitsfragen positiv abgeschlossen ist?“ Ein Anwohner sagte, er habe selber in Amerika wissenschaftlich gearbeitet und die Kommunikation zwischen entfernten Standorten sei dort nie ein Problem gewesen. Und: „Sie gehen nicht spontan hinüber, sondern werden einen Termin vereinbaren, wie es das normale Geschäftsgebaren ist“.

Angesprochen auf den Dioxin-Skandal im Boehringer-Werk in Hamburg-Moorfleet im Jahr 1984 sagte Boehringer-Chef Ulrich Pitkamin: Wir haben die Konsequenzen nicht richtig eingeschätzt und dann den Betrieb eingestellt. Daraufhin eine Zwischenruferin: „Einstellen müssen“. Die Dame spielte auf den Umstand an, daß es der Stadtverwaltung von Hamburg erst fünf Jahre nach den ersten bekannt gewordenen Umweltskandalen in dem Boehringer –Werk gelungen ist, eine Schließung des Werkes durchzusetzen. Klaus Neudahm von der Bürgerinitiative wies darauf hin, daß es seit der Schließung des Werkes – auch heute noch – notwendig sei, Grundwasser abzupumpen. Er fragte Herrn Pitkamin, ob dies die Fa. Boehringer oder die Stadt Hamburg bezahle. Herr Pitkamin beantwortete die Frage so: „Wir bezahlen die Maßnahmen, die da nötig sind“.

Als Mitglied der Bürgerinitiative schlug Peter Gresikowski vor: „Wir haben die Mittel, den Spaß und den Willen, das Projekt um drei Jahre hinauszuzögern.“ Vermittelnd machte er folgenden Vorschlag: „Wirtschaftlich ist es ein toller Coup, Boehringer in die Region Hannover zu holen. Machen Sie eine Erfolgsgeschichte daraus und wählen Sie eine geeignete Fläche außerhalb der Stadt.“ Dieser Vorschlag kam richtig gut an. Alle Zuhörer im Saal klatschten langanhaltend. Nach einigen Sekunden brach die Begeisterung alle Rekorde: viele Zuhörer brachten ihre Zustimmung zum Ausdruck, indem sie mit den Füßen auf dem Boden trommelten.

Baudezernent Uwe Bodemann stellte das Verfahren dar. „Sicherheit ist ein Belang unter anderen“ sagte er. Anschließend erläuterte Frau Christine Dohmen vom staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Niedersachsen die gentechnischen Aspekte in Zusammenhang mit dem geplanten Labor: Die Fa. Boehringer beabsichtige, gentechnische Experimente der Risikogruppe 2 durchzuführen. „Nach dem Gentechnikgesetz ist das Vorhaben nicht genehmigungsbedürftig, sondern nur anzeigepflichtig.“ Gleichwohl möchte die Fa. Boehringer das Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dies habe den Vorteil, daß das geplante Vorhaben nicht von verschiedenen Behörden unter den jeweiligen rechtlichen Aspekten genehmigt werden muß, sondern nur vom staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Niedersachsen (sog. Konzentrationswirkung der Genehmigung).

Auf die Frage, warum sich die Fa. Boehringer nicht in Tübingen angesiedelt hat, erklärte Hasenmeier: „Tübingen war charmant.“ Das Friedrich-Löffler-Institut in Tübingen, dessen Räume die Fa. Boehringer übernehmen wollte, sollte 2010-2012 schließen. Im Umfeld gebe es viele erfahrene Unternehmen. Und: „eine renomierte Mannschaft vom Friedrich-Löffler-Institut war schon da“ und hätte von der Fa. Boehringer übernommen werden können. Neben dem Wohngebiet habe es jahrelang keine Probleme gegeben. Auf die Frage, wieviele Tiere dort gehalten wurden sagte Volker Moennig, Direktor der Virologie an der TiHo: „30, 40 Schafe“. In Hinblick auf die in Hannover geplante Errichtung eines Versuchsstalls mit 1.000 Plätzen quittierten die Zuhörer diese Antwort mit Gelächter. Hasenmeier führte weiter aus, daß das Planungsrecht in Tübingen weitaus kritischer gewesen sei als hier in Hannover. Ein Zwischenrufer rief von der Galerie aus in den Saal: „Die Dösköppe hier in Hannover machen das schon“. „Wir haben uns das Planungsrecht in Hannover sehr genau angeschaut“, sagte Hasenmeier weiter. „Hier gehen die Bürger und die Medien viel sachlicher mit dem Thema um; dort war Polemik pur“.

Greif erklärte, daß der übliche Standort für ein Labor der biologischen Sicherheitsstufe 4 neben einem Klinikum sei. Die Absicherung erfolge über technische Einrichtungen.

Uwe Bodemann antwortete auf die Anmerkung eines Anwohners, der Verlust des Wertes der anliegenden Grundstücke sei vorgezeichnet: „Ich befürchte eine Verschlechterung nicht und könnte mir sogar vorstellen, daß es umgekehrt wird“. Die Kultivierung der Fläche in der vorgesehenen Weise fördere den Stadtteil sogar: „Arbeitnehmer, die bei Boehringer beschäftigt sind, kaufen hier ja auch Grundstücke.“

Ein promovierter Anwohner resümiert: „Was ich in dieser Veranstaltung gehört habe, macht mich erst recht mißtrauisch. ... Was ich hörte, ist ein Glaubensbekenntnis“. „Die Argumente, die ich von Ihnen bisher gehört habe, sind, gelinde gesagt, amüsant. Rein wissenschaftlich gesehen würde das in keiner Arbeit durchgehen.“

Professor Homburg von der Uni Hannover machte deutlich: „Was ich hier zum Thema Forschung gehört habe, ist unglaublich. Dies widerspricht auch völlig dem Gedanken der Globalisierung.“ Für ihn ist die Güterabwägung entscheidend: „Für den geplanten Standort spricht der Komfort für Mitarbeiter der TiHo und der Fa. Boehringer. Dagegen spricht, daß auch an Erregern geforscht werden wird, die für Menschen gefährlich sind; langfristig in der biologischen Sicherheitsstufe 3. Es gibt keine 100%ige Sicherheit. Boehringer sagt das aber, und das ist unseriös. Es gibt ein Restrisiko.“ Er kam zu folgendem Fazit: „Die Entscheidung ist völlig klar. Und es wird auch so kommen.“ Daraufhin konterte Stephan Weil: “Ich bin gegenteiliger Auffassung“. Er sieht den Nachweis einer sicheren Anlage sowie eine gute Infrastruktur, Arbeitsplätze und Vorteile für die Studenten der TiHo.

Ein junger Zuhörer stand auf und stellte sich als Student der TiHo-Hannover vor. Er kritisierte, daß die Information schlecht oder gar nicht gelaufen sei. Ans Publikum appellierte er: „Jeder soll sich sein eigenes Bild machen. Informieren Sie sich bei neutralen Stellen wie Gesundheits- und Veterinärämter, Medizinische Hochschule, Friedrich-Löffler-Institut. Glauben Sie nicht nur Bürgerinitiativen oder Internetforen.“ Seiner Meinung nach hätte auch der WfH-Vertreter im Rathaus zu der gestrigen Informationsveranstaltung der Fa. Boehringer ins Rathaus eingeladen werden müssen.

Dann meldete sich ein Mitglied einer Tierschutzgruppe zu Wort und wies darauf hin, daß Schweine - wie wir Menschen - leidensfähig seien. „Ich finde es nicht gut, daß Menschen sich gegen die Fa. Boehringer wenden, die sich Wurst aufs Brot schmieren.“ An die Zuhörer im Saal gerichtet fragte er: „Wie können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, Fleisch zu essen? Würden wir auf Fleisch verzichten, säßen wir nicht hier. Fünf Mio Vegetarier in Deutschland machen uns vor, daß es auch ohne Fleisch geht“. 

Auf die Frage, ob eine Produktion von Impfstoffen auf dem Gelände vorgesehen ist, sagte Hasenmeier: Eine Produktion auf dem Gelände ist langfristig möglich. Das macht viel Sinn; wir können das gegenwärtig nicht ausschließen. Herr Pitkamin hakt ein: „Wir halten uns das offen. Eventuell für eine zweite Ausbaustufe“.

Im Rahmen der Verabschiedung sagte Hasenmeier: „Bei uns kann man Verantwortung greifen. Es gibt Eigentümer, die mit Ihrem Vermögen – und viel wichtiger – mit Ihrer Person hinter dem Unternehmen stehen. Was wir machen, muß in Einklang mit der Nachbarschaft geschehen. Diesen Auftrag haben wir.“