Hintergründe

4. April 2008:

Es gibt in Hannover bereits Sicherheitsstufe 3 - Labore

Man darf nicht die biologischen Sicherheitsstufen 1-4, die in der Biostoffverordnung geregelt sind, verwechseln mit den Risikogruppen 1-4, die im Gentechnikgesetz niedergelegt sind. Die Fa. Boehringer plant ein Labor, das gentechnische Experimente der Risikogruppe 2 sowie Experimente mit Krankheitserregern gemäß der biologischen Sicherheitsstufe 3 erlaubt.

Die Gefahren,die einerseits von Krankheitserregern, andererseits von gentechnischen Experimenten ausgehen, sind völlig unterschiedlich.

Kriterien für die Einordnung in die gentechnischen Risikogruppen 1-4 sind die zu erwartenden Gefahren für die Menschen und die Umwelt. Kriterium für die Einordnung von Krankheitserregern in die biologischen Sicherheitskruppen 1-4 ist die Gefährdung des Menschen.

Treten Krankheitserreger der biologischen Sicherheitsstufe 3 (= schwere Erkrankungen von Menschen) aus, so werden Menschen, die damit in Kontakt kommen, zwangsläufig krank. Bei Stufe-2-Erregern ist diese Gefahr freilich geringer und bei Stufe-1-Erregern nach dem Kenntnisstand der Wissenschaft ausgeschlossen.

Treten gentechnisch veränderte Organismen aus einem Labor aus, so führt dies nicht automatisch zu einer Gefährdung von Menschen, die damit in Kontakt kommen. Wenn die Schweine gentechnisch verändert werden, um gegenüber Krankheitserregern resistent zu werden, dürften Menschen kaum etwas zu befürchten haben. Das Freiwerden gentechnisch veränderter Lebensformen ist also nicht primär für Menschen gefährlich, sondern für die Umwelt. Weil niemand 100%ig einschätzen kann, wie sich die Lebensform draußen entwickeln wird. Ein anschauliches aktuelles Beispiel außerhalb der Gentechnik: Waschbären sind ursprünglich in Amerika ansässig gewesen, kamen dann nach Europa und vermehren sich hierzulande mangels natürlicher Feinde insbesondere in Nordhessen kräftig. Das kann den Naturhaushalt durcheinanderbringen.

So erklärt sich die Einordnung in die gentechnische Risikogruppe 2. Allerdings ist das Labor bautechnisch für den Forschungsbetrieb in höheren Sicherheitsstufen vorgesehen. Für die konkreten Forschungsaktivitäten müßte die Fa. Boehringer dann beim staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Niedersachsen einen entsprechenden Antrag auf Erteilung der Genehmigung stellen.

Die gentechnischen Experimente in der Risikogruppe 2 sind nicht genehmigungspflichtig. Daß die Fa. Boehringer eine Genehmigung beantragt, hat den Vorteil, daß nicht mehrere Behörden die Genehmigungen für den Betrieb der Anlage erteilen müssen, sondern daß die Erteilung der Genehmigung allein durch das staatliche Gewerbeaufsichtsamt Niedersachsen erfolgen wird, sog. Konzentrationswirkung.

Das Labor der biologischen Sicherheitsstufe 3 erfüllt schon alle wesentlichen baulichen Eigenschaften eines Stufe-4-Labors: Im wesentlichen muß lediglich eine Dusch-Schleuse im Eingangsbereich nachgerüstet werden, weil sich die Personen, die den Laborbereich betreten oder verlassen möchten, duschen müssen. So die Vorschrift in der Biostoffverordnung. Dann kann die Fa. Boehringer Forschung gemäß der biologischen Sicherheitsstufe 4 beantragen - und auch genehmigt bekommen.

Es geht den besorgten Bewohnern darum, daß nicht noch ein weiterer Gefahrenherd neben den beiden bereits bestehenden Einrichtungen der Medizinischen Hochschule und der TiHo in einem Wohngebiet errichtet wird.

Daneben vertrauen viele Menschen bei öffentlichen Einrichtungen wie der TiHo und der Medizinischen Hochschule eher darauf, daß Sicherheitsvorschriften eingehalten werden. In Zusammenhang mit Störfällen, die bislang aufgetreten sind, fielen insbesondere privatwirtschaftende Unternehmen mit einer mangelnden Kooperationswilligkeit gegenüber den Behörden auf. Das war letztes Jahr beim Störfall in einem Atomkraftwerk der Fa. Vattenfall genauso wie 1984 in dem Boehringer-Werk in Hamburg, dessen Schließung gegen den Widerstand Boehringers von der Stadtverwaltung in Hamburg durchgesetzt werden mußte.

Im zwischenmenschlichen Bereich gilt: Menschen können sich ändern und aus Fehlern lernen. Auf Wirtschaftsunternehmen trifft das so nicht zu: Es hantieren dort die Firmenmitarbeiter nicht mit eigenem Geld, sondern mit dem der Eigentümer. Schlimmstenfalls geht das Unternehmen als solches kaputt, aber nicht der Mitarbeiter, der irgendwelche Störfälle auslöst oder die Ursachen dafür setzt oder durch Vertuschung gegenüber den Behörden zeitnahe Schadensbegrenzung verhindert. Von daher ist es abwegig anzunehmen, daß sich die Firmenphilosophie in einer Unternehmensleitung ändert. Gehaltvolle Beteuerungen sind bei lebensnaher Betrachtung nur Lippenbekenntnisse.

Zur Wahl des Standortes der geplanten Versuchsanlage im Wohngebiet:

Es steckt doch überhaupt kein stadtplanerisches Konzept dahinter!

Zuerst ebnet die Stadt der Fa. Hoch-Tief den Weg, an der Langen-Feld-Straße 125 Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser zu bauen. Sie erteilt dann auch die Genehmigungen dafür. Unmittelbar danach lädt die Stadt die Fa. Boehringer ein, in 200 m Entfernung zu dem Neubaugebiet eine Schweineversuchsanlage mit  zunächst 1.000 Plätzen für Schweine und späteren Erweiterungsmöglichkeiten für Versuche mit Rindern zu errichten. Verkäufe privater Grundstücke werden platzen. Hoch-Tief wird sich hüten, auf ihrem jüngst für mehrere Mio Euro erworbenen Gelände Wohnbebauung vorzunehmen. Aber es ist absehbar, daß die Fa. Hoch-Tief irgend etwas wirtschaftlich sinnvolles mit dem Grundstück machen muß, um ihren eigenen Schaden zu begrenzen. Und so wird dort wahrscheinlich ein Gewerbepark Kirchrode entstehen. Diesem Wunsch wird sich die Stadtverwaltung aus Imagegründen nicht so ohne weiteres entziehen können, hat sie doch den Schaden bei Hoch-Tief durch die nachträgliche Ansiedlung der Fa. Boehringer verursacht. Wenigstens ist die Stadt durch die Fa. Hoch-Tief nicht juristisch in die Pflicht zu nehmen. Dies alles ist schon Mitte letzten Jahres vorhersehbar gewesen, als die ersten Gespräche zwischen dem TiHo-Direktor Gerhard Greif und der Fa. Boehringer stattgefunden haben. Die Stadtverwaltung in der Person von Oberbürgermeister Stephan Weil hätte schon damals sagen müssen „das können wir nicht machen“. Und daß Stephan Weil erst im Herbst 2007 in diese Gespräche einbezogen worden sein soll, entspricht bei Projekten in dieser Größenordnung und dieser Brisanz nicht den gewöhnlichen Verhältnissen im Verwaltungshandeln.

2. April 2008:

"Boehringer überzeugt Politiker - Nur Grüne warten ab" titelte die HAZ in der Ausgabe vom 2. April.

Ganz so überzeugt können die Mitglieder des Rats noch nicht sein, da sie bisher nur wenig Gelegenheit hatten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Daß im Verlauf der Kurz-Infoveranstaltungen keine Bedenken geäußert wurden heist nicht, daß keine Bedenken da sind. Vertreter der Fa. Boehringer suchten Dienstag abend innerhalb von ein paar Stunden nacheinander vier Fraktionen im Rat auf; das ist zu kurz für einen normalen Menschen, um sich eine Meinung zu bilden. Auch nimmt die Öffentlichkeit erst allmählich wahr, daß die Probleme dieser Anlage nicht an den Grenzen Kirchrodes halt machen, zumal die Anlage im westlichsten Zipfel Kirchrodes entstehen soll. Südstadt, Bult und Waldheim sind auch weniger als zwei Kilometer von der Anlage entfernt. Wenn entgegen der Garantie der Fa. Boehringer doch etwas nach außen dringt, sind sogleich die im direkten Umfeld wohnenden Menschen betroffen, die die Erreger dann in die Stadt transportieren. Die Bürgerinitiative wird auch in den umliegenden Stadtteilen mit ihren Infoständen Rede und Antwort stehen. Dann wird sich zeigen, ob die Bewohner dort für die Ansiedlung dieser Anlage in Ihrer Nachbarschaft sind oder nicht.

29. März 2008:

Nach jüngsten Informationen der HAZ, deren aktueller Artikel aus der Ausgabe vom 29.3. noch nicht im newsarchiv der HAZ erreichbar ist, wurden große Teile der Grundstücke, die derzeit noch von Kleingärten belegt sind, bereits an Boehringer verkauft. Eine Kündigung der Kleingärtner sei erst 2009 möglich.

Dies ändert nichts an der Rechtslage. Die Fa. Boehringer kann erst bauen, wenn sie eine entsprechende Genehmigung bekommt. Allein das Verfahren bis zur Änderung des Bebauungsplanes wird sich bis ins Jahr 2009 hinziehen. Die Erfolgsaussichten für die Arbeit unserer Bürgerinitiative werden dadurch nicht geschmälert.

Mitte März 2008:

Ein Beispiel für eine andere erfolgreiche Bürgerinitiative: Kohlefreies Mainz

Freitag, 28. März 2008:

Nach Angaben aus dem Bebauungsplanentwurf (Beschlußdrucksache 0705/2008 Anlage 2 Seite 4 Absatz 4) wird Boehringer aufgrund dieses Bebauungsplanes in die Lage versetzt, auf dem Gelände Impfstoffe zu produzieren.

Das geht aus der amtlichen Begründung zur Bebauungsplanänderung hervor: „Perspektivisch ist eine tierpharmazeutische Produktion in Zusammenhang mit der Forschung und Entwicklung durch das Bebauungsplanverfahren denkbar“ (Anlage 2 zur Drucksache 0705/2008, Seite 4, Absatz 4).

Die Produktion von Impfstoffen erfordert nach unserem derzeitigen Kenntnisstand die Infizierung der Schweine mit den Krankheitserregern. Die klassische Methode der Impfstoffproduktion für Schweine basiert darauf, gesunde Schweine zu infizieren um aus ihnen dann die Impfstoffe zu gewinnen. Wenn dies Keime der biologischen Sicherheitsstufe 3 sind, bedeutet das, daß sich   - im laufenden Produktionsproß! - ständig hochinfektiöse Keime befinden werden, die im Falle der Freisetzung schwere Erkrankungen beim Menschen (= biologische Sicherheitsstufe 3) hervorrufen können.

Eine alternative Herstellungsmethode, die ohne die ständige Präsenz von Krankheitserregern auf dem Gelände auskommt, ist uns derzeit nicht bekannt. Siehe zu den beiden bekannten Methoden zur Herstellung eines neuen Influenza-Impfstoffs folgende Artikel von der Fa. Novartis Behring und dem Handelsblatt.

Donnerstag, der 20. März 2008:

Ein Beitrag zur Versachlichung der Diskussion sollte es sein: Dietrich Krönke vom Arbeitgeberverband Metall in NDS schlug vor, die Fa. Boehringer solle ihre Schweineställe am Kronsberg und die Forschung am Bünteweg betreiben. Die Fa. Boehringer lehnte dies ab.

Das Auslagern der Schweineställe ist nicht zielführend. Es geht den Anwohnern um Risikominimierung. Die notwendigen Tiertransporte, die wegen der Untersuchung der infizierten Tiere in den Forschungslabors im Wohngebiet erforderlich wären, stellen sogar eine Erhöhung des Risikos für die Hannoveraner dar. Der Transport und das Aus- und Aufladen der Tiere eröffnet dem Austritt hochinfektiöser Keime weitere Möglichkeiten.

Mittwoch, der 19. März 2008:

Am Dienstag, den 19 März wurde bekannt, daß die Stadt das vorgesehene Gelände seit längerem für Boehringer freigehalten hat. Eine Privatschule, die sich letztes Jahr in Hannover-Kirchrode ansiedeln wollte, soll die Antwort bekommen haben, man plane auf dem Grundstück bereits mit Boehringer.

Die bundesweit tätige Fa. Hochtief plant seit längerem zusammen mit der Grundgarant GmbH den Bau von 125 Wohnungen, welche direkt an dem Grüngürtel hinter der geplanten Versuchsanlage entstehen würden. Der Abstand dieser Wohnbebauung zur Anlage beträgt - im Gegensatz zu den bisherigen Angaben der Stadtverwaltung - nur 200 Meter.