Ihre Meinungen zum Thema

Reutlingen, den 8.4.2008

Sehr geehrter Herr Neufert,

bitte veröffentlichen Sie folgenden Brief:

"Bei der geplanten Ansiedlung von Boehringer geht es um vier Themenkomplexe:

1. Den beabsichtigten Betrieb.

2. Die Unternehmensgeschichte.

3. Die rechtlichen Rahmenbedingungen.

4. Die Verwaltungspraxis.

Zu 1: Wenn die Betriebsgenehmigung vorliegt, ist der Zugang zu betrieblichen Vorgängen wie Betriebsstörungen oder Änderungen der Betriebsvorgänge, z.B. hin zu B-Waffenforschung und ggf. -produktion Dritten verschlossen. Daß in Deutschland Störfälle vertuscht werden, ist bekannt, wie oft, bleibt unklar. Rechtsanspruch auf Information gibt es für Dritte nicht.

 

Zu 2: Boehringer ist das erste Unternehmen in Deutschland, bei dem ein Betrieb, das Werk Hamburg-Moorfleet der Fa. C.H.Boehringer Sohn, vom Staat geschlossen wurde. Das Betriebsgelände ist mit einem Betondeckel verschlossen. Das dort anfallende Wasser wird nach meinem Kenntnisstand heute noch abgepumpt.

Interessant sind die 83 Seiten der Drucksache 11/2864 der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vom 21.8.1984. Über die Rolle der damals von Boehringer hergestellten Produkte im Vietnamkrieg mag sich jeder selbst informieren. Von Wiedergutmachungszahlungen habe ich noch nichts gehört.

 

Zu 3: Die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich zwar im Laufe der Jahre verbessert, sind aber, vor allem in genehmigungs- und umweltstrafrechtlicher Hinsicht unzureichend. Dies gilt für die Pflicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung nach dem Gefährdungshaftungsprinzip, wie sie für jedes Mofa selbstverständlich ist; für eine ausreichende Rückbaukaution (siehe Moorfleet), und für die Geruchsimmissionsrichtlinie GIRL. Der Kündigungsschutz und die eingeschränkten Sanktionierungsmöglichkeiten verhindern nicht selten die wirksame Durchsetzung sicherer Arbeitsabläufe. Aufsichtsräte sind damit per definitionem überfordert.

 

Zu 4: Bis Bürgerinitiativen mit ihren Klagen Erfolg haben, müssen sie in Deutschland im Schnitt 15 Jahre lang kämpfen.  Genehmigungsbehörden werden stets nur anlaßbezogen tätig. Es wird peinlich darauf geachtet, daß die Genehmigung keinerlei Vorschriften enthält, die zu einem Anfangsverdacht führen oder gar die Beweissicherung bei einer Betriebsstörung erleichtern könnten. Fehler in Gutachten werden - wie im Flüssigeiskandal bei Birkel - u.U. erst 23 Jahre später bekannt, weil die Akten unter Verschluß gehalten werden. 

Unabhängige Gutachter muß man mit der Lupe suchen.

 

Fazit:

Eine Firma mit dieser belastenden Vorgeschichte hat nun mal einiges wieder gut zu machen, will sie Vertrauen bei den Leuten gewinnen. Das ist aber weit und breit nicht in Sicht.

Daß die Fronten so hart aufeinandertreffen, haben sich aber auch die Industrieverbände einerseits und der ihnen mit seiner Gesetzgebung viel zu weit entgegenkommende Staat andererseits zuzuschreiben.

Daß jetzt Leute aufwachen, die vielleicht an der bisherigen Appeasementpolitik Gefallen gefunden haben, ist ein Lichtblick."

 

Mit freundlichen Grüssen

 


Dr. med. Dipl. biochem. Rudolf H. Seuffer
Facharzt für Laboratoriumsmedizin
Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie
Facharzt für Biochemie
Ferdinand-Lassalle-Str. 40

 

D-72770 Reutlingen